Gedanken einer Erzieherin in der Jugendhilfe

Die Erzieher/-innen und Sozialpädagogen/-innen des Kindersolbads in Bad Friedrichshall arbeiten in 24 Stundenschichten mit Nachtbereitschaft. Hier einen kleinen Einblick in die Gedanken und den Alltag eben dieser Mitarbeiter:
Gleich muss ich in den Dienst. Meine Tasche ist gepackt. Wie wird das Wetter heute? Ich packe lieber noch eine lange Hose und eine Jacke mit ein. Herd ist aus, Kaffeemaschine auch- alle Fenster zu? Ja-Tiere sind auch versorgt. Gut. Bin ja 24 Stunden nicht zu Hause. Auf dem Weg zum Auto kommen schon die ersten Gedanken an den anstehenden Dienst
„Was steht heute an? Daniel muss zum Fußball und Francesca muss direkt nach dem Zahnarzt zur Ergotherapie. Habe ich mich um ein Auto gekümmert? Wer kann die zwei heute fahren? Hoffentlich bin ich heute nicht alleine im Dienst, sonst wird das mit den Terminen--- ach! Ich muss ja noch den Bericht für Bernd fertig schreiben. Das Jugendamt von Emre muss ich auch noch anrufen- oh und die Mama von Olivia auch- Mist! Warum habe ich nie einen Stift im Auto dabei? Olivia war das letzte Mal so traurig, ich hoffe ihr geht es wieder besser. Ob Bernd und Emre sich wieder vertragen habe?“
Angekommen auf der Wohngruppe begrüßt mich meine Kollegin. Die sieht aber müde aus heute .„Schön, dass du da bist. Emre ist krank und heute nicht in der Schule gewesen. Er hat die ganze Nacht gespuckt. Als ich dann irgendwann schlafen konnte, hat mich Olivia geweckt. Sie hat ganz arg geweint, da sie wieder einen Albtraum hatte. Naja, ich hab dir ein paar Sachen aufgeschrieben, dazu bin ich leider nicht gekommen -Die Liste ist aber lang!- und kannst bitte bei der Schule anrufen und Emre krank melden. Und Morgen ist eine Besprechung, du musst also länger bleiben. Oh man, ich wollte doch zum Geburtstag meiner Oma...“
Langsam kommen die ersten Kinder von der Schule. Monika rauscht an mir vorbei und pfeffert den Schulranzen in die Ecke. „Hallo Moni, schön dich zu sehen“ - „Jaja...“ und schon fliegt die Zimmertüre zu. Na fängt ja schon gut an- naja, ich lasse sie erst einmal ein paar Minuten in Ruhe. Die anderen Kinder begrüßen mich herzlich und freuen sich auf den Tag mit mir. Da wird mir ja gleich ganz warm ums Herz.
„Olivia, deck du bitte schon mal den Tisch“ „Ja, gleich“ ….. „Olivia, deckst du jetzt bitte den Tisch?“ „jaaaa, gleich“ Jetzt! „Olivia, du deckst jetzt den Tisch!“ „Immer schimpfst du gleich, ganz eehrlich“ Aaargh!
Heute gibt es Gemüseeintopf mit Würstchen Na super! Das gibt einen Kampf. „Boooa, lecker! Das ist mein Lieblingsessen! Gott sei Dank habe ich heute Dienst. Daniel, gib mir doch mal bitte deinen Teller, damit ich dir schöpfen kann“ „Iiih nee, das esse ich nicht!“ Du solltest mal an deinem Schauspieltalent feilen, das hat ja jetzt überhaupt nicht funktioniert „Ach komm Daniel, Karotten isst du doch sonst auch so gerne“ „na gut, aber sonst nix!“ „Naja aber Paprika magst du doch auch und ein bisschen vom Rest kannst du zumindest probieren, das schmeckt dir bestimmt!“ „Oh Mann! OK!“ Super!! Auf zum nächsten Gemüseverweigerer „Stefan, jetzt dein Teller bitte“ „Ich nehme nur Würstchen!“ „Ein bisschen Eintopf isst du auch“ „Nö!“ Oh maaan „Na gut, dann gibt’s leider nichts vom Nachtisch, heute gibt’s so leckeren Schokopudding“ „EEEEY! Das ist Erpressung! Dann ess ich halt das doofe Gemüse“ Ja, ein bisschen Erspressung ist es schon “Nein, das ist keine Erpressung- ich lasse dir nur die Wahl“ höhö.
Bis dann alle 8 Kinder erpes...äh ermutigt werden zum Gemüseeintopf essen, zum Einräumen der Spülmaschine überredet, zu Hausaufgaben machen animiert worden sind, auf dem Hof gespielt, gestritten und sich vertragen haben, ist es auch schon wieder Zeit für das Abendprogramm.
Das Abendessen ist sehr laut, aber fröhlich. Wild durcheinander erzählen die Kinder von ihrem Tag und was sie heute noch vorhaben. Stefan erzählt mal wieder ein paar Witze, alle lachen mit. So schön wie alle erzählen und miteinander lachen, aber Kopfweh hab ich trotzdem. Beim Abräumen sage ich den Kindern, dass ich noch kurz telefonieren müsse und Olivia und Emre schon einmal die Uno Karten mischen und austeilen können.
„Hallo Frau Müller, tut mir leid, dass ich sie erst so spät anrufe. Vergessen hab ich sie nicht naja, doch- fast um was geht’s denn? [ KLOPF ] „.. Frau Müller kleinen Augenblick- herein?“ „Der Emre guckt deine Karten an!“ „Sag ihm bitte, er soll nicht schummeln- ich telefoniere noch schnell fertig und dann bin ich soweit.... So Frau Müller, sie wollten vom Elternabend erfahren? Ja der neue Lehrer scheint ganz nett zu sein, ist halt noch ziemlich jung und motiv... [KLOPF] .. kleinen Moment Frau Müller... HEREIN?“ „Darf ich den Fernseher anmachen?“ „Ja Stefan, kannst du machen“ „...so Frau Müller, Entschuldigung. Wo waren wir? Ach ja der Lehrer. Der möchte dieses Jahr noch ins Schullandheim. .. Nein, nein, da brauchen sie sich keine Sorgen machen, das werden nur 3 Nächte sein... [KLOPF] …
Nach mehreren Unterbrechungen beende ich schließlich das Gespräch mit Frau Müller. Kurz notiere ich mir noch etwas, kläre dann den Streit mit Daniel und Francesca, schalte die Waschmaschine, tröste Monika und räume die Spülmaschine ein, räume im Wohnzimmer ein paar Spielsachen weg, während Stefan mir aufgeregt von dem Fußballspiel im Fernsehen erzählt. Auf dem Weg zum Kartenspiel schicke ich Francessca Zähne putzen und schreibe mir noch schnell eine weitere Notiz auf meinen Zettel. Irgendwas ist mir heute morgen im Auto auch noch eingefallen- ich komm nicht drauf.
Nach dem ich drei Geschichten vorgelesen habe, ein CD-Player repariert, sechs Gute-Nacht-Umarmungen und einen Gute-Nacht Bussi erhalten habe, räume ich die Spülmaschine aus, decke den Frühstückstisch, schalten den Trockner ein, hänge ein paar Wäschestücke auf, kontrolliere das Haus nach geschlossenen Fenstern und Türen und setze mich an den PC. Oh nein, gleich Mitternacht. Der Bericht muss aber morgen fertig sein, Endlich im Bett fällt mir dann noch was ein Jugendamt! Das wollte ich noch anrufen. Wann muss Francesca morgen aufstehen? Sie hat nur gesagt, dass sie früher in die Schule muss. Naja, wird schon.
Um kurz vor 6 klingelt der Wecker. Viel zu früh, aber aufstehen muss ich trotzdem Gott sei Dank schlafe ich an meinem Arbeitsplatz, jetzt ins Auto steigen könnte ich nicht... . Nachdem fast alle Kinder geweckt, Pausenbrote geschmiert, Diskussionen über wettertaugliche Kleidung beendet und die Kinder an der Türe mit Umarmung, Schulterklopfer und winken verabschiedet sind, verbringe ich den Vormittag mit Berichte schreiben, telefonieren und Austausch mit den Kollegen oder auch mal plaudern und Kaffeetrinken, das müssen die Chefs ja aber nicht erfahren...
Um halb 12 kommt meine Kollegin kommt herein „Na du? Hier kommt deine Ablöse- wie war der Dienst?“ „Ganz entspannt gestern. Ich habe dir ein paar Sachen aufgeschrieben, zu denen ich nicht gekommen bin ich muss ihr ja nicht sagen, dass mir das unsere Kollegin gestern schon aufgetragen hat ich muss aber jetzt los zu der Besprechung, also bis morgen- schönen Dienst!“ Im Auto fällt mir plötzlich was ein. OH MIST! Jetzt fällts mir ein-dem Jugendamt wollte ich anrufen. Naja, ich geh jetzt erst einmal Mittagsschlaf machen. Morgen ist auch noch ein Tag.
Kyra-Lee Bertok